Ein Sommermärchen

Auf der Erde, einem Planeten, der in der Milchstrassengalaxie rastlos um den Fixstern Sonne kreist, erwärmte sich das Klima. Die Gründe dafür lagen im Treiben der Menschen, die den Planeten bewohnten und die Atmosphäre, die die Erde wie eine dünne Haut umhüllt, mit Treibhausgasen anreicherten – durch die Nutzung fossiler Energie, die Vernichtung von Wäldern und die Auswirkungen ihrer Landwirtschaft. Ein Grossteil der Menschen lebte in Städten, wo die Temperaturen lokal noch kräftiger anstiegen als im Umland.

Denn die dicht bebauten Gebiete erwärmten sich stärker als Wiesen und Wälder, zudem speicherten die vielen Gebäude die Sonnenwärme und behinderten Abkühlung und Luftzirkulation. Wegen der grossräumigen Flächenversiegelung verschwand das Wasser schnell aus den Ballungs- zentren, wo infolgedessen der kühlende Effekt ausblieb, der mit der Verdunstung des Wassers verbunden ist.

In den Städten der nördlichen Hemisphäre begannen dort, wo der Boden nicht versiegelt war, seltsame Pflanzen zu spriessen, die früher im Gebiet nicht bekannt waren und aus dem sonnigen Süden stammten. Auch allerlei Wärme liebende Schmetterlinge, Fledermäuse und weitere Tiere aus wärmeren Regionen siedelten sich nun in den überhitzten Städten der vormals gemässigten Zone an.

Doch nicht allen Lebewesen bekam die zunehmende Hitze. In den Seen und im Meer verschwanden viele Fische, da es ihnen zu heiss wurde. Die TaucherInnen flogen verzweifelt zu den letzten Riffen, wo die Korallen noch nicht ausgestorben waren. Auf dem Land sank der Grundwasser- spiegel, die Wiesen wuchsen nicht mehr recht und Rinder mussten geschlachtet werden. In der Schweiz, einem kleinen Land in einem Erdteil namens Eurasien, starben in heissen Sommern mit überdurchschnittlich vielen Hitzetagen und Tropennächten jeweils einige Hundert Menschen mehr als sonst.

Und die Zahl der Stadtmenschen, die an Pollenallergien litten, verdoppelte sich, denn die gestressten Stadtbäume neigten dazu, mehr Pollen zu bilden, die darüber hinaus Allergene im Übermass aufwiesen. Schadstoffe in der Stadtluft bewirkten nicht nur, dass diese Allergene leichter freigesetzt wurden, sondern auch, dass die gereizten Schleimhäute der Stadtmenschen besonders empfindlich reagierten. Hitze und Trockenheit gaben vielen der nicht zuletzt durch verdichtete Böden und enge Platzverhältnisse ohnehin arg bedrängten Bäume den Rest. Und wenn sie nicht verbrannten und vertrockneten, so fielen die geschwächten Stadtbäume Pilzkrankheiten und anderen Stressparasiten zum Opfer. Irgendwann wurde dies auch den Stadtmenschen zu bunt.

Sie erkannten, dass sie die Stadtbäume als natürliche Klimaanlagen unbedingt brauchten, denn Bäume spenden Schatten, reinigen die Luft, verdunsten – wenn sie genügend gross sind – täglich mehrere Hektoliter Wasser und befeuchten und kühlen so die trocken-warme Stadtluft.

Also pflanzten die Stadtmenschen Bäume, wo es ging. Und die Bäume erhielten grosszügige Rabatten. Bauten die Stadtmenschen neue Häuser, so liessen sie möglichst viele alte Bäume und gewachsene Grünräume in Ruhe, trugen dem Boden und dessen Organismen Sorge, pflanzten bei den Neubauten zusätzliche Gehölze und vergrösserten die begrünten Flächen, wo sie nur konnten. Sie entsiegelten alle Bereiche, die nicht zwingend versiegelt sein mussten. Auf Kiesplätzen und -strassen konnte das Regenwasser nun versickern und in wenig begangenen oder befahrenen Bereichen gediehen Kräuter und Gräser. Die Stadtmenschen legten Teiche an, holten die eingedolten Wasserläufe ans Tageslicht und liessen an den Fassaden und auf den Dächern der Gebäude Pflanzen wachsen.

Fortan genossen sie das angenehme Klima, freuten sich an der lebendigen Vielfalt ihrer Baumstädte, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.