Grünstadt Zürich Migros Kulturprozent

Editorial

Bäume sind gross. Sie wurzeln in der Erde und wachsen zum Himmel. Im Weltbild früherer Kulturen galt der Baum als Bild der Welt. Die Verästelung der Laubbäume gleicht dem Stammbaum des Lebens. Viele Bäume leben Jahrhunderte lang, wenn man sie leben lässt. Bäume erinnern an vergangene Zeiten und an Menschen, zu deren Gedenken sie gepflanzt wurden. Bäume bringen Leben in die Stadt. Nach der letzten Eiszeit bedeckte der Wald fast die gesamte Landschaft am Ende des Zürichsees. Offene Flächen fanden sich nur an wenigen Stellen . Nicht überall wachsen dieselben Bäume – je nach Standort setzen sich naturnahe Wälder aus unterschiedlichen Baumarten zusammen. An sonnigen Hängen gedeihen andere Bäume als in schattigen Mulden oder an Flussufern.

Bis heute prägen bewaldete Hügel die Landschaft um die Stadt. Wälder nehmen einen Viertel der Gesamtfläche des Stadtgebiets ein und spielen eine wichtige Rolle für Erholung, Freizeit und Biodiversitätsowie als Rohstofflieferanten. Auch in der Stadt und den umliegenden Dörfern wurden bereits vor Jahrhunderten Bäume gepflanzt. Linden machten den Moränenhügel im Herzen der alten Stadt schon vor mehr als 500 Jahren zum Lindenhof. Die Oerliker Dorflinde, einer der ältesten Bäume Zürichs, ist mit ihren fast 300 Jahren älter als sämtliche Gebäude Oerlikons. Noch vor 1800 wurden am damaligen Stadtrand «Promenaden» angelegt mit einer Vielzahl von Schatten spendenden Bäumen. Als sich Zürich nach dem Fall der Mauern im 19. Jahrhundert zur Grossstadt entwickelte, entstanden besonders an den zuvor als Rebberge genutzten Hängen Wohnhäuser mit Gärten, oft mit damals neuartigen, attraktiven Bäumen, die aus Amerika und Asien eingeführt wurden. Gewisse Baumarten können geradezu als «Leitfossilien» für bestimmte Phasen der Gartenund Parkgeschichte gelten, so etwa der Riesen-mammutbaum, der in der ganzen Region in keinem grosszügigen Villengarten des späten 19. Jahrhunderts fehlen durfte.

Zürich präsentiert sich heute als globaler Mischwald aus Baumgruppen, Alleen und Einzelbäumen unterschiedlichster Herkunft, durchsetzt mit Gebäuden und Verkehrsflächen. Alleine in Parks, Friedhöfen und anderen öffentlichen Grünanlagen wachsen 50 000 Bäume, an den Strassen stehen weitere 22 000 als sogenanntes Verkehrsbegleitgrün. Die Bedeutung der Stadtbäume kann nicht hoch genug eingeschätzt werden: Sie machen die Stadt wohnlich und das Stadtklima erträglich. Als perfekte Klimaanlagen mildern sie das trockenwarme Lokalklima. Sie spenden Schatten und können als «Luftbefeuchter» – im Falle eines grossen Laubbaums – an Sommertagen mehrere hundert Liter Wasser verdunsten . Auch die urbane Biodiversität hängt wesentlich vom Baumbestand ab. Gerade einheimische, alte und Bäume mit grossen Kronen bilden eine Voraussetzung für eine vielfältige Stadtfauna . Vögel nutzen sie als Nistplatz, zur Nahrungssuche und als Knotenpunkte auf ihren Flugrouten durchs Quartier. Ohne Bäume würde der Stadtfrühling verstummen. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Gesamtzahl der in Zürich brütenden Vogelpaare um ein Fünftel zurückgegangen. Auch zahlreiche andere Organismen sind auf Bäume angewiesen. Viele Pilze stehen mit Bäumen in symbiotischen Beziehungen.

Doch das Leben vieler Stadtbäume ist hart – besonders in grossflächig versiegelten Quartieren, wo Strassenbäume im Grunde genommen ein Dasein als Topfpflanze fristen, mit eingezwängten Wurzeln, im Sommer dem heissen Stadtklima ausgesetzt, im Winter von Auftausalz gestresst, anfällig auf Schädlingsbefall und Krankheiten. Nur wenige Arten und Sorten halten solchen Belastungen stand. Auch widerstandsfähigere Bäume erreichen meist kein hohes Alter. Gerade die für die hiesige Fauna besonders wertvollen einheimischen Bäume kommen an solchen widrigen Standorten kaum über die Runden. Zudem werden fast jährlich Pilze, Insekten und andere Organismen aus aller Welt eingeschleppt, die bestimmte Baumarten schädigen oder zum Absterben bringen können. Bäume stehen Neubauprojekten und dem Ausbau der Verkehrswege im Weg. In Privatgärten werden sie gefällt, weil sie eine billige Bewirtschaftung des Wohnumfelds verunmöglichen.

Die Bilanz ist verheerend: Im Quartier Schwamendingen, das sich gegenwärtig im Umbruch baulicher Erneuerung befindet, sind nach einer flächendeckenden Erfassung von Grün Stadt Zürich allein 800 von 7000 gezählten Bäumen im Zeitraum von 2006 bis 2010 verschwunden. Überdurchschnittlich stark betroffen sind alte und grosse Bäume, die für Wohlbefinden, Stadtklima und Tierwelt besonders wertvoll sind. Neupflanzungen vermögen solche Verluste nur beschränkt zu kompensieren. Um die Leistungen einer mächtigen alten Buche zu ersetzen, müssten 2000 Jungbäume mit einem Kronenvolumen von einem Kubikmeter gesetzt werden. Zürich kennt im Gegensatz zu andern Schweizer Städten keine für das ganze Stadtgebiet geltende Bewilligungspflicht für das Fällen von Bäumen, Baumschutzverordnungen beschränken sich auf wenige Zonen und markante Einzelbäume.